Die dreiste Glosse< Zurück 28.06.2012
Von Max Werschitz
Nach einem halbjährigen Winter- & Frühlingsschlaf ist Der Dreiste Kleine Kinomo nun wieder bei vollem Bewusstsein und wird ab sofort auch wieder regelmäßig mit dem Cineastenfinger fuchteln – und dabei fest auf eigenen Beinen stehen: ab sofort sind wir direkt auf www.kinomo.at beheimatet, unsere Kooperation mit Info-Graz (wir danken für die schöne Zeit) ist beendet. Als Entschädigung für die artikelarmen Monate (danke Stephie für die Ehrenrettung im Mai) hole ich zu einem rückblickenden Rundumschlag aus und präsentiere euch meine persönliche Liste der besten, schlechtesten und irgendwie erwähnenswerten Filme der ersten Hälfte von 2012. Los geht's!
Nazis am Mond! Muss ich mehr sagen? Diese drei Worte sollten eigentlich schon genügen um jeden Cineasten der sich auch nur ansatzweise Humorfähigkeit unterstellt ins Kino zu locken. Es war die täuschend simple Prämisse mit der der finnische Semi-Pro Regisseur Timo Vuorensola bereits 2006 begann für sein unabhängiges Filmprojekt im Internet um Aufmerksamkeit und 2008 in Cannes um Kooperationspartner zu buhlen. Das Warten hat sich schließlich gelohnt: trotz eines vergleichsweise geringen Budgets von nur 7.5 Millionen Euro, teilweise durch genial inszeniertes crowd funding (ironsky.net) aufgebracht, muss sich die finnisch-deutsch-australische Koproduktion nicht vor seinen großen Brüdern aus Hollywood verstecken.
Im Gegenteil. Iron Sky steht was die Spezialeffekte betrifft keinem aktuellen Sci-Fi-Blockbuster etwas nach, und übertrumpft diese in Sachen Kreativität bei weitem. Dies ist nicht nur der von Johanna Sinisalo und Jarmo Puskala geschriebenen Geschichte zu verdanken, sondern vor allem dem großartigen Drehbuch von Michael Kalesniko und Regisseur Vuorensola selbst – gespickt mit Dialogen und Ideen die das Humorspektrum vom lauthalsen Lacher bis zum stillen Schmunzeln fast im Minutentakt ausreizen ("Charlie Chaplin's The Great Dictator – the best short film of all time!"). Abgerundet wird die "dark science fiction comedy", wie die Macher sie nennen, von einer sehenswerten Besetzung (u.a. Julia Dietze, Christopher Kirby, Götz Otto, Udo Kier) und einem hörenswerten Soundtrack der slowenischen Industrial-Band Laibach.
Der Kinostart in Österreich war der 5.4.2012, die DVD bzw BluRay ist (z.B. auf amazon per UK Import) bereits erhältlich, die heimische Version erscheint am 26. Oktober.
Fünf Oscars! Muss ich mehr sagen? Der Publikums- und Kritikerliebling des Regisseurs Michel Hazanavicius hat nicht nur 5 Academy Awards sondern auch so ziemlich jeden anderen nennenswerten Preis dieses Jahres abgeräumt, und 2012 zum Kinojahr der Franzosen gemacht. Und das mehr als verdient. Auch die Liste der gebrochenen Rekorde ist nicht enden wollend: erster Bester Film-Oscar für einen französischen Film, erster Beste Hauptrolle-Oscar für einen französischen Schauspieler (Jean Dujardin), seit 1927 (Wings) der erste Stummfilm und immerhin seit 1993 (Schindlers Liste) der erste Schwarz/Weiß-Film mit Oscar-Ehren, und seit 1955 (Marty) der erste Gewinner der sich vor dem widescreen-verwöhnten Mainstreampublikum traut im schlichten 4:3-Format daherzukommen. Trotzdem oder gerade deswegen schafft er es auf meiner Hitliste nur auf Platz 2 – wir wollen ja nicht dass ihm das Ganze zu Kopf steigt.
In der Tat kann die im Hollywood der späten Zwanziger / frühen Dreißiger Jahre angesetzte romantische Dramödie in allen Punkten überzeugen. Während es oberflächlich betrachtet vielleicht als Wagnis erschien einen derart altmodischen Film zu drehen ist es meiner Meinung nach raffiniert kalkuliert und insgesamt bezeichnend wie sehr der nostalgische Stoff den aktuellen Zeitgeist bedient: wie damals befindet sich das große Filmbusiness im Umbruch; während einst der Tonfilm dem Stummfilm samt seiner teils wandlungsunfähigen Akteuere den Garaus machte, ist es heute das Internet mit seinen unkontrollierbaren Verbreitungs-, aber auch Mitwirkmöglichkeiten (siehe Iron Sky) die den big players Angst einjagen.
Der Kinostart in Österreich war der 27.1.2012, die DVD bzw BluRay ist ab 30. Juni (UK Import) bzw 11. Oktober (allgemein) auf amazon erhältlich.
Wes Anderson. Muss ich mehr sagen? Im Gegensatz zu Tim Burton, der schon seit geraumer Zeit eigentlich jedes Mal den selben Film macht, hat Anderson zwar auch einen unverkennbaren persönlichen Stil, schafft es jedoch diesen immer wieder in ein ausreichend neues Gewand zu gießen. In Moonrise Kingdom schickt er ein gewohnt entzückendes SchauspielerInnenensemble (u.a. Bruce Willis, Edward Norton, Bill Murray, Frances McDormand, Tilda Swinton, Jason Schwartzman) in eine gewohnt entzückende Filmwelt, dieses Mal eine kleine Insel im New England des Jahres 1965.
Und retro ist dabei auch Programm: die klassische Coming-of-Age Story der beiden zwölfjährigen Ausreisser Sam (Jared Gilman) und Suzy (Kara Hayward) erinnert den gereiften Kinobesucher an eine Kindheit, oder zumindest einen abenteuerlichen Sommerurlaub, den er in der Form vermutlich nie selbst erleben durfte, aber wohl gerne hätte. Die beiden jugendlichen Hauptcharaktere, die ihren erwachsenen Helfern und Kontrahenten in punkto Schrulligkeit ("He does water colours. Mostly landscapes, but a few nudes.") nichts nachstehen, reizen ebenso wie die sie verbindende Geschichte die Grenzen des Realismus ordentlich aus, spielen sich aber genau dadurch sofort in die Herzen des Publikums. Gerahmt wird das Ganze von Andersons gewohnt genial choreographiertem Einsatz von Bild- und Klangwelten die den Film zu einem unantastbaren Gesamtkunstwerk formen.
Der Kinostart in Österreich war der 25.5.2012, die DVD gibt's leider erst ab 28. Dezember. (Bis dahin kann man sich ja die Zeit mit Andersons Klassikern, allen voran Rushmore und Die Tiefseetaucher, versüßen :-)
"Shut up, crime!" Muss ich mehr sagen? In dem Fall: ja. Super feierte seine Weltpremiere bereits 2010, aber hat es erst 2012 nach Österreich, und das nur auf DVD, geschafft – was zwar eine Schande, aber nicht völlig unverständlich ist: der Film ist keine leichte Kost. Lässt der Trailer noch eine schräge Komödie formal und inhaltlich ähnlich Kick Ass (ebenfalls 2010) vermuten, so ist der Film ein stellenweise zwar sehr witziges, aber im Kern bitterböses Drama das seine exzessiv eingesetzte Gewalt nicht mit den mainstreamüblichen stilistischen Mitteln mundgerecht aufbereitet. Vielmehr bleibt einem oft das Lachen im Halse stecken, und ein beunruhigender Nachgeschmack bleibt zurück. Aber unterhaltsame Kost ist eben nicht immer auch leicht.
Der Film rund um den kleinen Angestellten Frank Darbo (Rainn Wilson, u.a. bekannt aus der TV-Serie The Office), der vom Leben ein paar ordentliche Watschen bekommt und daraufhin beschließt als selbsternannter Superheld ("The Crimson Bolt") zurückzuschlagen, ist alles andere als perfekt. Aber trotz einiger etwas unausgegorener Elemente bietet er eine Fülle an großartigen Ideen und Szenen, und seine teils beabsichtigte, teils unfreiwillige Rohheit trägt insgesamt zu seinem einzigartigen Charme bei. Weiters kann er neben dem überzeugenden Wilson mit talentierten Leuten wie Ellen Page, Kevin Bacon, Liv Tyler und nicht zuletzt dem Genre-Liebling Nathan Fillion (als "Holy Avenger" eines lokalen Bibel-TV-Senders) punkten.
Einen Kinostart in Österreich gab es wie gesagt nicht; die DVD gibt es jedoch seit Januar 2012 auch bei uns, und ich kann sie – zumindest für hartgesottene Genrefans – wirklich empfehlen.
Ich gebe es zu: Dieses Machwerk habe ich mir nur angetan weil das geniale Kritikerduo von Red Letter Media sein normalerweise halbstündiges "Half in the Bag"-Programm extra auf fast 1 Stunde ausgeweitet hatte nur um es auch wirklich genüsslich zerfetzen zu können. Die beiden gehen sogar so weit anzudeuten dass es im Grunde gar kein Film ist, sondern eine von Adam Sandler (der auch Produzent war) raffiniert geplante 80 Millionen Dollar-Abzockaktion zur großzügigen finanziellen Versorgung seiner Spezis, basierend u.a. auf einem Verständnis des Begriffs "product placement" das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.
Im Trailer zu dieser, äh, Komödie hieß es "She isn't subtle". Gemeint ist Jill, die Schwester von Jack, beide verkörpert (im wahrsten Sinne des Wortes) von Sandler, und der Slogan ist Programm: der Film ist nicht subtil. Was ja prinzipiell OK wäre, aber er ist leider auch nicht witzig. Und viel mehr kann und will ich zu Jack & Jill gar nicht sagen (schaut euch bitte einfach das Video von RLM an). Ausser vielleicht noch dass ich mich ernsthaft frage welche verlorene Wette ausgerechnet Al Pacino in Sandlers Dunstkreis gesogen hat. Und dass es hoffentlich und höchst verdient das endgültige Ende der Karriere von Katie Holmes ist.
Der Kinostart in Österreich war der 27.1.2012, wenn ihr das verpasst habt gratuliere ich im Nachhinein herzlich. Wenn ihr die DVD kaufen wollt seid ihr wirklich selbst schuld, von mir gibt's dazu sicher keine Infos.
Ich gebe es zu: ich habe weder die Muppets-Fernsehserie noch die diversen Filme gesehen, falls es unter euch also echte Insider gibt werden mir viele in meiner Kritik wohl nicht zustimmen. Aber gerade als Neuling hatte ich eben gewisse Erwartungen, schließlich war das allgemeine Mediengetöse (zumindest in den USA) gefühltermaßen schon nahe an jenem rund um die erste Mondlandung, und die Beteiligung von Jason Segel als Co-Autor und Hauptdarsteller weckte zusätzliche Hoffnungen.
Leider falsch gedacht. Ich kann mich abgesehen von Twilight (und dessen Fortsetzungen) kaum an Filme erinnern während derer ich mich mit ständigem Blick auf die Uhr halb fadisiert, halb peinlich berührt fast durchgehend im Kinosessel gewunden habe. Die Muppets hatte im Vorfeld den Anspruch erhoben eine moderne, selbstreflektive und auch für erwachsenen Humor geeignete Neufassung der Vorlage zu sein. Tatsächlich ist er jedoch ein unnötig altmodischer, lähmend langer und generell weichgespülter Kinderfilm den man getrost in das Sonntagnachmittag-Fernsehprogramm hätte versenken können. Die Lacher kann man an den Fingern einer Hand abzählen, und die Lieder führen selbige zum Mund damit das Gähnen nicht so auffällig ist (denn sogar die oscargekrönte Titelnummer "Man or Muppet" schrammt nur knapp oberhalb der Durchschnittlichkeitsgrenze entlang).
Der Kinostart in Österreich war der 19.1.2012. Anstatt die DVD zu kaufen empfehle ich darauf zu warten dass sich das Kinderprogramm des ORF in 1-2 Jahren dieses Werkes erbarmt.
Ich gebe es zu: Hugo Cabret fand ich nicht per se schlecht, ich war nur maßlos enttäuscht, und deswegen findet er sich auch hier auf der Worst-of-Liste wieder. Aber wer will mir das verübeln – schließlich hat er nicht nur 5 Oscars gewonnen, sondern war tatsächlich auch für jenen des Besten Films nominiert, und allein bei dem Gedanken bekomme ich erneut das Verlangen mir die 3D-Brille aus dem Gesicht zu reißen und schreiend aus dem Kinosaal zu laufen. Ich stelle hiermit die Behauptung auf dass Hugo Cabret kein Film im herkömmlichen Sinn ist. Es ist der – leider! – missglückte, weil schizophrene Versuch von (Autor Brian Selznick und) Regisseur Martin Scorsese aus einer etwa 20minütigen Hommage an den Kinopionier Georges Méliès mittels schlampigem narrativen Beiwerk einen abendfüllenden Film zu machen. Während ersteres visuell und emotional brilliant gelöst ist, verkommt zweiteres zu so etwas wie einer aufgeblasenen Designstudie, die Scorsese auch gleich noch als seinen persönlichen 3D-Testlauf nutzte.
Die Optik des Films ist wunderschön, aber in ihrer durchgeplanten Perfektion schon wieder an Herzlosigkeit grenzend; das nostalgietriefende Finale ist herzzerreissend, aber die Handlung bis dorthin platt und vorhersehbar; die beiden Kinderdarsteller ausreichend überzeugend, aber ihre Dialoge unrealistisch und uninspiriert. (Vor allem: als guter Geschichtenerzähler, was ich Scorsese ja zubillige, sollte man das Prinzip des "Show, don't tell" eigentlich verinnerlicht haben; aber Hugo (Asa Butterfield) und Isabelle (Chloe Grace Moretz) besprechen und erklären ständig ihre jeweiligen Gefühlszustände als hätten sie sich gerade frisch ein Bakk in Psychologie abgeholt). Der sonst so großartige Ben Kingsley wirkt ebenso müde wie der gealterte Méliès den er spielt, und Sacha Baron Cohens komödiantisches Talent rettet den Film zwar stellenweise, hätte aber auch besser genützt werden können.
Der Kinostart in Österreich war der 10.2.2012., die DVD gibt es ab 16. August – ist jedoch nur für den Konsum in einem entsprechend ausgestattetem Heimkino (große Leinwand oder am besten ein 3D-Fernseher) zu empfehlen.
Ich habe kein einziges Iron Man-, Hulk- oder Thor-Comic zuhause, dafür jede Menge nerdige T-Shirts, und eines der ältesten und mir immer noch liebsten ist jenes auf dem in der Star Wars-Schrift "Joss Whedon is my master now" geschrieben steht. Und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Mit The Avengers (Drehbuch und Regie) hat Whedon wieder einmal bewiesen dass er einer der verlässlichsten und besten Film-Handwerker der Welt ist, egal welchen Stoff er anpackt, und egal ob sein Publikum mit der Materie vertraut ist. Ich hätte es kaum einem anderen zugetraut aus einem dermaßen komplexen Knödel von SuperheldInnen und deren Hintergrundgeschichten derart elegant einen spannungsgeladenen und humorvollen Film zu basteln, noch dazu ohne dass die einzelnen Charaktere dabei auf der Strecke bleiben. Well done, sir. Whedon ist vielleicht nicht mein Meister, aber sicher einer meiner Helden.
Hier ist ein weiterer meiner Helden am Werk: Bora Dağtekin. Auf die Fernsehserie Türkisch für Anfänger, deren erste Staffel im Frühjahr 2006 im ARD anlief, stieß ich ein Jahr später ausgerechnet im Medienarchiv der Amerikanistik der KF-Uni Graz: eine Gastprofessorin aus Deutschland hatte die DVDs für eine ihrer Seminare geordert. Und aus meiner zufälligen Neugier wurde sehr rasch überzeugte Begeisterung: nach nur wenigen Episoden war ich süchtig, und auch wenn viele sagen dass die folgenden Staffel 2 und 3 qualitativ abgebaut haben, ich empfinde das sympathisch-schräge Universum rund um Lena Schneider (Josefine Preuß) und ihre deutsch-türkische Patchwork-Familie in Berlin als Bereicherung der hiesigen TV-Landschaft. Und dieses Jahr durfte endlich auch die Kinolandschaft davon profitieren: der auf der Serie basierende Film ist clevererweise keine simple Fortsetzung, sondern nützt die altbekannten Charaktere und Themen um die Geschichte im gleichen amüsanten Stil, aber doch komplett neu zu erzählen – und das äußerst gut gelungen. Es war sehr schön euch alle wiederzusehen, es hat mich sehr gefreut.
That's it! Mal schauen was die zweite Hälfte 2012 bringt …
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